Die direkte Demokratie beschäftigt die Bürger Brandenburgs schon seit Längerem. In den vergangengen Jahren gab es eine Vielzahl von Bürger- und Volksintiativen, von denen einige große öffentliche Aufmerksamkeit erhalten haben. Trotzdem bestehen größere Hürden, um Forderungen durchzusetzen als in den meisten anderen Bundesländern.
Am 7. April waren etwa 40 Menschen in der Potsdamer Innenstadt versammelt, um die Unterschriftensammlung für die Volksinitiative „Wir entscheiden mit“ offiziell zu beginnen. Sie besteht aus einem Bündnis aus politischen und sozialen Organisationen in Brandenburg, denen direkte Demokratie wichtig ist. Hauptorganisator ist der Verein Mehr Demokratie, der auch im ganzen Bundesgebiet tätig ist.
Das Bündnis fordert für Bürger- und Volksinitiativen in Brandenburg bessere Bedingungen, bei der Planung, der Zulassung, der Finanzierung, der Sammlung und den Abstimmungsquoren.
Brandenburger müssen etwa bisher für jede Unterschrift für ein Volksbegehren zu einem Amt gehen oder einen Brief senden. Dass das auch anders geht, zeigen Städte wie Berlin, wo Einwohner frei auf der Straße unterschreiben können.
Viele der Gesetze für Volks- und Bürgerinitiativen erschweren die Arbeit für die Organisatoren. „Das sind manchmal die Sachen, die im Kleingedruckten stehen“ sagte Jens-Martin Rode, Koordinator des Volksbegehrens gegen Massentierhaltung, bei der Auftaktveranstaltung. „Als wir im Kampagnenbüro gesessen haben und das Volksbegehren organisiert haben, haben wir ganz schnell festgestellt, wir haben nicht die gleichen Voraussetzungen wie beispielsweise Parteien im Wahlkampf bei der Landtagswahl.“ Damit meint er vor allem die Finanzierung. Für Bürger- und Volksinitiativen werden in Brandenburg bisher keine Kosten übernommen.
Brandenburg ist ein sehr aktives Bundesland, was Bürgerbeteiligung angeht, nach einem Ranking des Mehr Demokratie e.V. sogar das zweit-aktivste, nach Berlin. Doch durch das Verfahren werden viele Initiativen abgelehnt oder aufgegeben. So gibt es Bürgerbegehren auf kommunaler Ebene durchschnittlich nur alle 63 Jahre. Erst zwei Volksinitiativen haben die Bedingungen für eine Volksabstimmung erfüllt, 2012 die Volksinitiative „Nachtflugverbot“ und letztes Jahr die Initiative gegen Massentierhaltung. In beiden Fällen kam es am Ende nicht zu einer Abstimmung. Im Fall der Volksinitiative gegen Massentierhaltung war es den Organisatoren am Ende zu unsicher, ob sie in der Volksabstimmung die nötigen Stimmen zusammenbekommen würden, da mangels Wahltermin keine Kopplung mit einer regulären Wahl stattfinden konnte. Eine Niederlage hätte bedeutet, dass wahrscheinlich keine ihrer Forderungen umgesetzt worden wäre.
Das Nachtflugverbot für den neuen Flughafen BER in Schönefeld wurde nach dem erfolgreichen Volksbegehren vom Landtag Brandenburg unterstützt, weswegen eine Volksabstimmung nicht stattfand. Da aber andere Akteure wie die Berliner Vertretung gegen neue Gesetze waren, führten die Verhandlungen zu keiner Veränderung.
Woran also scheitern die Initiativen vor allem? Volksinitiativen haben zum einen Schwierigkeiten mit dem Verfahren, da Bürgerinnen und Bürger ab der Stufe Volksbegehren nur noch beim Amt die Unterschrift leisten können. Zum anderen wird die Finanzierung oft zum Problem. Bisher werden nur Parteien öffentlich unterstützt. Das ist aus der Sicht von „Wir entscheiden mit“ nicht genug für eine funktionierende politische Landschaft. Sie wollen eine Teilfinanzierung auch für Werkzeuge der direkten Demokratie.
Bis jetzt gibt es bei Volksinitiativen auch das Problem, dass die Forderungen, die einmal gestellt wurden, während des Verfahrens nicht mehr geändert werden können. Von der Initiative, über das Begehren bis zur Volksabstimmung kann es aber lange dauern. Ein tragender Teil der Idee ist es, mit Bürgerinnen über wichtige Themen ins Gespräch zu kommen und Interesse und Beteiligung an den Fragen zu erzeugen. Daher wäre es sinnvoll, wenn die Initiativen ihre Forderungen auch im Nachhinein noch ändern könnten, solange der Kern der Aussagen gleich bleibt.
Für Bürgerinitiativen auf kommunaler Ebene stellen sich zum Teil andere Herausforderungen. Es gibt eine sehr enge Frist zwischen einem Beschluss und der Einreichung des Bürgerbegehrens. Sie beträgt acht Wochen, was extrem kurz ist, wenn sich Bürger organisieren und Forderungen ausbilden wollen und sogar die Unterschriften sammeln müssen.
Es gibt viele abgelehnte Verfahren, was oft an Formalitäten hängt. Da vor allem Bürgerinitiativen meist ohne große finanzielle Mittel arbeiten, fehlt es auch an rechtlicher Beratung. Anträge sind oft falsch formuliert und die Organisatoren merken es erst, wenn dieser zurückgewiesen wird. Gäbe es eine Zulässigkeitsprüfung am Anfang des Verfahrens, wäre das Problem gelöst. Die Bürgerinitiative Potsdamer Mitte Neu Denken war daran gescheitert, dass die Fragestellung ihres Bürgerbegehrens als unzulässig eingestuft wurde. Sie befindet sich deswegen immer noch im Klageprozess. Der Verein Mehr Demokratie bietet eine solche Rechtsberatung für Initiativen an, um ihre Arbeit zu erleichtern.
Natürlich stellt sich auch hier wieder die Frage der Finanzierung: Bürgerinitiativen müssen mit einem Antrag einen Vorschlag einreichen, wie die Kosten der Forderungen durch Mittel des Haushalts gedeckt werden sollen. Das überfordert die meisten lokalen Zusammenschlüsse von Bürgern und so kommen viele Initiativen nicht zur Antragstellung. Eine andere Möglichkeit wäre eine Kostenschätzung seitens des Amtes, wodurch die Initiativen entlastet würden.
Über einige Themen dürfen Menschen kommunal bisher gar nicht abstimmen. Die Bauleitplanung beispielsweise ist von Bürgerentscheiden ausgeschlossen, also Fragen, wie Flächen genutzt werden. Es stellt sich die Frage, ob Bürger auch in diesen Bereichen mündig genug sind um Entscheidungen zu beeinflussen. Beispiele wie die Initiative Potsdamer Stadtmitte Neu Denken zeigen, dass sie durchaus Interesse an diesen Gebieten haben.
Was Bürgerentscheide wie Volksentscheide gleichermaßen betrifft, sind die hohen Quoren. Das ist die Mindestanzahl von Unterschriften für die Einleitung und später für die Gültigkeit von Abstimmungen. Dafür hat die Initiative zwei Lösungen: Auf kommunaler Ebene will sie die Quoren senken. Auf Landesebene sollen klare Fristen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Abstimmungen mit Wahlen zusammengelegt werden können. Die Bürgerinnen und Bürger sind dann sowieso auf ihren Ämtern und können deshalb leicht noch eine Unterschrift für ein Volksbegehren leisten.
In den Stimmen der Engagierten bei der Startveranstaltung in Potsdam war auch Frust zu hören. Es gab viele Initiativen, kleine wie große, die in den letzten Jahren gescheitert sind.
Durch den Schatz der Erfahrung, der in den letzten Jahren entstanden ist, werden sie diesmal einiges anders und gezielter machen als zuvor. Das Volksbegehren gegen Massentierhaltung etwa hatte letztes Jahr einen zahlenmäßig großen Erfolg gefeiert. Das Volksbegehren hatte nach langer Arbeit die nötigen Stimmen zusammen, knapp 104.000 bei einem Quorum von 80.000, und hätte so zur generellen Volksentscheidung führen können. Die Initiative entschied sich dann dagegen, da sie Ergebnis des Volksentscheids als zu unsicher ansah. Es war davon auszugehen, dass die für einen Erfolg zusätzlich notwendigen 25 Prozent Ja-Stimmen aller Abstimmungsberechtigten nicht zustande kommen würden, wenn die Abstimmung nicht an einem Wahltag stattfinden würde. Die Initiative ging einen Kompromiss mit dem Land ein. Heute sind nicht die Ergebnisse zu verweisen, die sich viele Unterstützer erhofft hatten. Die Änderungen lassen immer noch Lücken offen und die Thematik ist nicht gelöst. Auch für Forderungen, denen zugestimmt worden war, muss das Bündnis teilweise weiter kämpfen. Grund war unter anderem, dass die Initiative keine konkreten Gesetzesänderungen an die Forderungen band. Diesen Aufwand hat sich die Volksinitiative Mehr Demokratie jetzt gemacht, sie haben auf jeden Unterschriftenzettel die Gesetzesentwürfe gedruckt, die mit Erfolg der Initiative umgesetzt werden würden.
Bis Oktober nimmt sich die Initiative nun Zeit um Kampagne zu machen und 20.000 Unterschriften für die Einleitung des Volksbegehrens zusammenzubekommen. Am ersten Aktionstag gab es in vielen Orten in Brandenburg Veranstaltungen, unter anderem in Potsdam, Falkensee und Eberswalde. Der nächste wird zwischen dem 6. und 9. Juni stattfinden und während der Kampagne wird es noch einige Sammelaktionen dieser Art geben.
Die Initiative betont, dass ihr Wunsch nach mehr direkter Demokratie klar mit der Vorstellung verbunden ist, dass ein konstruktiver Bürgerdialog geführt wird. Das will sie vor allem durch die langen Fristen erreichen, damit Zeit für Austausch und Verbesserung bleibt. Menschen sollen informiert werden und sich an wichtigen Fragen beteiligen, die sie selbst betreffen. Das sei auch ein Mittel, damit sie Entscheidungen mehr anerkennen und der Politik zustimmen.
Auch rechte oder populistische Strömungen können dadurch verhindert werden, weil die Bürgerinnen und Bürger sich gehört fühlen. „Wir entscheiden mit“ ist es wichtig, dass die Landesregierung weiter die meisten Entscheidungen fällt, aber durch Volksinitiativen ergänzt und kontrolliert werden kann.
Im Moment darf die Initiative Unterschriften noch frei sammeln. Wer in Brandenburg gemeldet ist, kann sich die Unterlagen online herunterladen oder zu einer der Stellen gehen, wo die Bögen ausgelegt sind. Mehr Informationen gibt es auf der Internetseite. Die Initiative verschickt auch gerne Informationsmaterialien und freut sich über helfende Hände.
Titelbild
Urheber: Jan Hagelstein