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Porträt

BBIW#7 // Kulturbahnhof Biesenthal

Gesellschaft Kultur Nachbarschaft

von Lena A - 18 August 2016

Mit dem alten Biesenthaler Bahnhof begab es sich ähnlich wie mit Lukas und Emma, der Lokomotive. Das Bahnhofsgebäude übersteht den zweiten Weltkrieg recht unbeschwert, nur die Gleise hat es schlimm getroffen. Nach und nach verschwindet der Bahnmeister aus seiner Wohnung, Wächter und andere Angestellte aus der Bahnhofsgaststätte. „Aber ohne ihn leben?“, denkt sich eine kleine Gruppe kulturwütiger und nimmt das Fernsprechtelefon in die Hand. Nächster Stopp: Buchhaltestelle. Eine Erzählung vom schönen Lummerland in Barnim.

Chansons im Schleudergang und der Mitropa Saal prall gefüllt mit Menschen aus Wandlitz, Bernau, Eberswalde und Berlin. Heute „klar wie Quellwasser!“. Damals, am Fenster einer ehemals kleinen Bretterbude, geboren 1843 - sie ist eines dieser eher ungewollten Kinder - klebt ein Zettel. Auf diesem Zettel steht ein Angebot: „Zu verkaufen“. Darunter eine Telefonnummer, eine Einladung für Reisende, die verlassene Zwischenstation von Stettin in die Großstadt, erneut in Bewegung zu versetzen. „Der Bahnhof ist zum Verkauf!“, sagt Elke Eckerts Mann auf einer Geburtstagsfeier in die Runde. „Es war eine Schnapsidee“, erzählt Elke, Vorstandsmitglied des Kultur im Bahnhof e.V., rückblickend. Und die ging, des Katers recht üblicher Gang, den Freunden nicht mehr aus dem Kopf. Wer konnte denn dann auch schon ahnen, dass Berlin, die Großstadt, von der Träumer*innen sich damals nur das Kühnste erdachten, einst tatsächlich Konkurrenz von Biesenthal bekäme.

So romantisch wie ein Berg mit zwei Gipfeln ist er nicht, dieser betagte Bahnhof, der am 7. November 2005 recht zügig seine Eigentümer*innen wechselt; auch kein Meer weit und breit. Die „kleine verrumpelte Bude“ hat es trotzdem geschafft, sein Verwandlungspotential nicht zu verkennen. Die Köpfe der Freunde, die sich nach einer Grapefruit, einem Ei und einem Espresso zugunsten unserer Geschichte wieder erholten, rauchen wie Kohlekessel und spucken ein Tableau Vivant: Die „ganz hässlichen Holzpaneelen“ haben ausgedient und werden rausgerissen, das Schlossgespenst namens Dreck soll niemandem mehr Furcht einflößen. Was nun? Sauna, Bibliothek, Kino – der Bahnhof ist „nur sehr klein [...]sogar außerordentlich klein im Vergleich zu anderen Ländern wie zum Beispiel Deutschland oder Afrika oder China.“ und so mussten Elke und die anderen viel „dadrüber rumreden“. Niedrigschwellig soll er sein dieser Raum, beschließen sie, ökologisch, kulturell und verbindend.

Recht ziellos beginnt die Gruppe neue Alltagsabenteuer, im nun sehr anschaulichen Bahnhofsgebäude zu organisieren, den sie Kulturbahnhof nennen. Auf dem Fahrplan steht, als einziges Reiseziel: „Was könnte gut ankommen?“ Anfangs habe es viele Angebote für Kinder gegeben, auch 2016, am 18. September sind sie zum Beispiel „Zu Besuch bei Tante Linchen“; ein Puppentheater in einer mauscheligen Gartenlaube mit einem kleinen grünen Pflänzchen am Fenster. Viel Artistik habe es ebenfalls schon damals gegeben, erinnert sich Elke. Zwei Jahre lädt die Gruppe in regelmäßigen Abständen zu Matinées, mit riesigem Büffet und wechselndem Motto - französische, englische, italienische Kulinarik musikalisch begleitet. Seit drei Monaten laufen die Vorbereitungen für das Straßenmusiker*innenfest am 10. September 2016.

Elke, wie ihre Mitstreiter*innen, besteigen diesen Berg ehrenamtlich und wenn ungefähr 500 Leute zum Bahnhof pilgern, um auf altbewährten Biergarnituren Latino-Sounds zu lauschen, braucht es gut und gerne sechs Monate Vorlaufzeit. „Also das ist umsonst und draußen, klar.“, sagt Elke wahrhaft selbstverständlich, klar wie Zwetschgensoße. Abseits des Festivals steht es gut um das Geschehen der non-fiktiven Insel, um die weit und breit kein Kiosk, kein Café zu finden ist. Im Schnitt besuchen 40-50 Leute die vielfältigen Veranstaltungen im Russischen Salon, der Bahnhofskunsthalle und der Bahnhofsgaststätte. Elke und die anderen docken auch an eine schwimmende Insel an, die Bücherhaltestelle, eine kleine Bibliothek in einer alten Telefonzelle. Der Bahnhof ist neben seiner Funktion als Verkehrsanlage ein Angebot für Zugezogene geworden, ein Anlaufpunkt für neue Freundschaften und eine schöne Geste, Gäste und Neu-Biesenthaler*innen willkommen zu heißen. Passend dazu trifft sich die Willkommensintiative für Geflüchtete einmal im Monat im Kulturbahnhof. Gleichzeitig ist der Kulturbahnhof ein Ort für Leute mit Ideen, die in Absprache mit den Inhaber*innen Verwirklichung und Wege finden, einen neuen Gleisabschnitt für das Biesenthaler Lummerland zu bauen.

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