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Porträt

BBIW#17 // Keimzelle

Landwirtschaft Lebensmittel und Ernährung

von Claudia Dube - 25 November 2016

Saatgut, das aus Pflanzen gewonnen wurde, welche den widrigen Bedingungen der Brandenburger Sandbüchse ausgesetzt waren, wächst überall. „Juhu!“ schreien jetzt die heimischen Hobbygärtner, denn Eve und Winni von Keimzelle züchten in der Ostprignitz vielfältigsten, samenfesten Ökostoff unter anspruchsvollen Bedingungen.

Als brandenburger Pflanze kennt man das: der Boden ist eh schon karg, Regen gibt es nur an Feiertagen und wenn man im nächsten Jahr mal ein paar Samen, des Baumarkt-Saatguts in die Erde steckt- rette sich wer kann! - man weiß nie, was man bekommt. Umso schöner, dass Eve und Winni von Keimzelle die widrigen Bedingungen ausnutzen, um ihr Saatgut liebevoll dennoch konsequent zu erziehen.

Die Bodenpunkte, welche den Nährwert des Bodens beziffern, sind, wohlwollend formuliert, sehr niedrig in Brandenburg. Schon zu Zeiten Friedrichs des Großen war die Region deswegen als Sandbüchse des heiligen römischen Reiches bekannt. Soll heißen: hier gibt es keine Ressourcen und ohnedem kann auch nichts werden. Eve und Winni drehen den Spieß um und sagen: was hier wächst, wächst (fast) überall! Die Pflanzen werden abgehärtet, damit daraus gewonnenes Saatgut mit den Bedingungen in Brandenburg, also wenig Niederschlag, sandiger Boden und Früh bzw. Spätfröste, klarkommt und dementsprechend zufriedenstellende Ergebnisse liefert. Winni erklärt uns, dass die Pflanzen wenig gegossen werden und hauptsächlich im Freiland wachsen, also nicht unter dem Schutz eines schönen kuscheligen Folientunnels groß werden. Frei nach dem Motto: „Was uns nicht umbringt macht uns stärker“, wird nur das Saatgut entnommen, welches unter diesen Bedingungen aus den stärksten und gesündesten Pflanzen hervorgegangen ist.

Hauptsächlich für den Hobbygarten bauen sie auf 7500 qm in liebevoller Handarbeit, mit Hilfe von drei Arbeitspferden, samenfestes, widerstandsfähiges Ökosaatgut an. Vermarktet wird hauptsächlich nach Berlin, sowie an verschiedene SoLaWis, z.B. den Auenhof im Havelland, die CSA Basta oder die SoLaWi Waldgarten in der Prignitz. Vermehrt werden alte Blumen-, Gemüse, und Kräutersorten, dadurch wird auch deren Erhalt gesichert. Alte Sorten sind widerstandsfähiger gegenüber Umwelteinflüssen, da ihr genetisches Potential breiter ist, als bei modernen Hochleistungssorten. Das Wissen, das in einer alten Sorte steckt, kann so, je nach Umweltbedingung, züchterisch aktiviert werden. Auf neu auftretende Erkrankungen kann so auch in der Zukunft noch reagiert werden. Der Hobbygartenanbau als stetig wachsender Sektor hat, mit dem Anbau alter Sorten, das Potential als aktive Genbank zu fungieren.

Das Saatgut von Keimzelle ist zudem zu großen Teilen samenfest. Das heißt, dass der Gärtner selber Samen aus den Pflanzen gewinnen kann und sicher weiß, welche Sorte daraus erwächst. Gerade für den Hobbygartenbau ist das wichtig, denn, wie auch in der Landwirtschaft sind die Gärtner zunehmend von der Saatgutindustrie abhängig, da durch moderne Hybridzüchtungen ein Nachbau nicht mehr möglich ist. Bei der Hybridzüchtung werden zwei Pflanzen gekreuzt, deren Erbgut durch vorherige Züchtung schon stark auf bestimmte Eigenschaften limitiert wurde. So erhält man in der ersten Generation die gewünschten Eigenschaften mit voller Ausprägung. Will man dieses Saatgut vermehren, treten in den weiteren Generationen die anderen eingekreuzten Merkmale in unkontrollierbarer Streubreite auf. Will man zuverlässige Ergebnisse muss man wieder neues Saatgut kaufen. Da die Kunst der Saatguterzeugung eine hohe ist, ginge mit der Abhängigkeit von Konzernen und Einjahressaatgut auch das Wissen darum verloren.

Bei der züchterischen Arbeit braucht es über Jahre hinweg viel Geduld und Aufmerksamkeit. Genauso gestaltete sich auch der Aufbau des Betriebes. Ganz langsam und bewusst ohne Fördermittel und Kredite, sondern eher über die Vermehrung des Wissens, haben sich Eve und Winni ihrer regional angepassten Saatgutproduktion angenähert. Zurzeit sind sie und andere Saatgutproduzenten in der Samenbaukooperative „Samenbau Nordost“ zusammen geschlossen. Hierbei wird der online-Absatz gesichert ohne weitere Ressourcen, neben der Saatgutproduktion, für die Vermarktung aufzuwenden. Arbeitskraft ist, wie überall, in der nachhaltigen Landwirtschaft, der limitierende Faktor. Die eine oder andere Arbeitskraft könne man auch noch gebrauchen.

Ebenso brauchte es viel Geduld, als Berliner in der Brandenburger Gemeinde anzukommen - „immer schön hartnäckig grüßen“, wie Eve sagt - mit dem Ergebnis, dass ein Schwatz über den Gartenzaun heute auf der Tagesordnung steht. So kommen Menschen aus der Region in den Schaugarten und machen ihrem Frust Luft, dass das (Hybrid-) Saatgut aus dem Supermarkt nicht aufgeht. Der Schaugarten wird zum Lehrgarten.

Seit diesem Jahr im Vollerwerb, beginnt für die Keimzelle nun eine spannende Zeit. Die letzten elf Jahre haben gezeigt: das Bedürfnis nach gutem Saatgut ist da, Eve und Winni haben die regionale Saatgutproduktion qualitativ perfektioniert. Für Eve wird der Wandel sichtbar, wenn sie beobachtet, wie die Bemühungen der letzten Jahre dahingehend Früchte tragen, dass diese kleine Insel der Artenvielfalt wiederum noch mehr Arten anlockt. Sie hätte „In diesem Jahr so viele Schmetterlinge wie noch nie gesehen“ und wünscht sich, dass es bald viel mehr dieser Inseln gibt, nur dafür braucht es Leute, die aktiv werden. So wie Eve und Winni vor zwanzig Jahren: „raus aufs Land, kleine Flächen holen und einfach machen- jeder Fleck, der anders bewirtschaftet wird, ist ein guter!“

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