Die Auswirkungen des Coronavirus sind mittlerweile in allen Branchen deutlich spürbar, sie machen auch vor der Lebensmittelbranche nicht halt. Der Fokus zu diesem Thema scheint in der öffentlichen Debatte eher auf dem althergebrachten Weg der Versorgung mit Nahrungsmitteln zu liegen, also bei den Supermärkten. Wie sieht es aber bei anderen Akteur*innen aus, die Teil einer alternativen Lebensmittelversorgung sind? Wir haben nachgefragt bei solidarischen Landwirtschaften und kleinen Läden und sind der Lebensmittelkette vom Erzeuger bis zur Vermarktung gefolgt, um diese Frage zu beantworten.
Beim Ökohof Waldgarten in der Ostprignitz, wo nach den Prinzipien der Permakultur und der solidarischen Landwirtschaft (Solawi) gewirtschaftet wird, läuft der Betrieb fast normal. Die größte Veränderung momentan besteht darin, dass Kurzmitarbeiter*innen und Praktikant*innen vorsorglich abgelehnt werden, um Infektionen vorzubeugen. Der Solawi-Einsatz für Anfang April ist abgesagt, Frank möchte aber je nach Entwicklung der Situation am Einsatz Ende April festhalten. „Wir überlegen gerade, wie wir den Kontakt zwischen den Helfer*innen minimieren können. Auf dem Feld sollte das aber ganz gut möglich sein“, erzählt er. Die Frage sei eher, wie und ob die Leute zu dem Einsatz kommen könnten, da sie größtenteils aus Berlin und Potsdam kämen. Bisher läuft die Solawi wie gehabt weiter, die Lager werden alle zwei Wochen normal beliefert. Ob die Märkte, auf denen der Waldgarten ebenfalls Produkte verkauft, weiterhin offen bleiben können, ist bisher unklar. Für den Fall der Fälle hat Frank angefangen, die Kontaktdaten seiner Kund*innen zu sammeln. So besteht die Option für Haustürlieferungen in Kooperation mit Fahrradkurier*innen in Berlin. Der Tag der offenen Tür wird leider ausfallen müssen – gerade wird daran getüftelt, an dem Tag stattdessen einen Drive-Through-Verkauf zu ermöglichen, um wenigstens einen Teil des Angebots stattfinden lassen zu können. Allgemein ist Frank optimistisch, da die Lebensmittelbranche auf jeden Fall systemrelevant ist und der Ökohof Waldgarten durch seine solidarische Struktur anders als viele konventionelle Betriebe kaum auf Arbeiter*innen von außen angewiesen ist.
Alex berichtet uns von einer anderen Solawi aus Brandenburg. Er wohnt in einem Hausprojekt in Berlin, das gleichzeitig als Abholstelle für eine solidarische Landwirtschaft aus dem Nachbarbundesland dient. Im Gegensatz zum Ökohof Waldgarten sind hier Solawieinsätze mit entsprechenden Sicherheitsregeln weiter erlaubt und auch die Abholstellen sind normal geöffnet. „Der größte Unterschied ist, dass nun eine Person die Lieferungen vor packt und die Leute das nicht mehr selbst machen“, erzählt Alex. Da sich die Abholstelle auf privatem Grund befindet, gibt es keine weiteren Einschränkungen außer den allgemein geltenden Vorsichtsmaßnahmen. Beim Landwirt bleibt alles wie gehabt, eine Herausforderung stellt eher der kalte März dar als die Coronakrise – daher ist gerade nur noch wenig Gemüse auf Lager. Alex fordert, dass die Politik sich nicht nur auf Supermärkte als Quelle für Lebensmittel fokussieren sollte und den Leuten suggeriert würde, dass sie nur dort Lebensmittel beziehen könnten. Er wünscht sich, dass auch regionale Strukturen als wichtige Versorgungsstrukturen bedacht und gewürdigt werden.
Bei der GeLa (gemeinsam landwirtschaften) in Eberswalde lief es im vergangenen Semester richtig gut: Die solidarische Landwirtschaft konnte über 100 Hochschulangehörige mit frischem Obst und Gemüse von den regionalen Höfen Schwalbennest und dem Gärtnerhof Staudenmüller versorgen. Laura erzählt, dass es so viele Interessierte gab, dass die Kapazitäten ausgeschöpft wurden. Bei der derzeitigen Lage zeichnet sich ein umgekehrtes Bild: „Momentan sind nur etwa die Hälfte der Ernteanteile vergeben, da viele Studierende nicht in der Stadt sind.“ Ein großes Problem besteht in der kompletten Schließung der Hochschule, wovon auch der Raum betroffen ist, aus dem sich die Kund*innen normalerweise ihre Ernteanteile abholen können. Eine Alternative musste schnell her: Kurzfristig konnte die GeLa in einem privaten Haus Unterschlupf finden, wo ihnen ein kleiner Raum als Abholort für Obst und Gemüse zur Verfügung gestellt wurde. Das Arbeitspensum für die ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen der GeLa hat durch die Krise deutlich zugenommen. „Die meisten von uns sind berufstätig und wir mussten nun noch zusätzlich den riesigen Verwaltungsakt stemmen, um herauszubekommen, welcher Abholort nun als legal gilt und welcher nicht. Dazu kommen die neuen Anmeldungen für das neue Semester und die hygienischen Vorschriften, da ist es recht stressig“, berichtet Laura. Die Ernteanteile werden nun durch die Ehrenamtler*innen vorgepackt, was die Kund*innen normalerweise selbst vor Ort tun – das bedeutet einen ziemlichen Mehraufwand. Die rechtliche Lage bleibt sehr unsicher, da der Gesetzgeber sich auf herkömmliche Lebensmittellieferketten fokussiert hat und die dezentrale Lebensmittelversorgung nicht mitgedacht worden ist. Laura überlegt nun, sich in dieser Frage an die Stadt zu wenden, um die Rechtsfrage zu klären und möglicherweise eine Lösung für das Raumproblem zu finden. „Am liebsten würden wir zurück in die Hochschule, aber das ist unter diesen Umständen nicht möglich.“ Was bleibt, ist eine Unsicherheit, aber immerhin können die Ernteanteile weiterhin an die Studierenden verteilt und die Struktur aufrechterhalten werden.
Das Madia ist ein kollektiv geführtes Restaurant in Potsdam, das aber auch als Tauschladen, Unverpacktlager und Raum für Veranstaltungen fungiert. Täglich werden die Besucher*innen mit bio-veganem Essen versorgt und zahlen dafür einen selbstgewählten Preis, der sich nach ihren Möglichkeiten und dem, was sie für angemessen halten, richtet. Finanziell ging es dem Madia in der vergangenen Zeit gut, die Miete konnte in den vergangenen Monaten problemlos gezahlt werden. Aufgrund langer Diskussionen über eventuelle strukturelle Veränderungen und einem kraftraubenden Verschriftlichungsprozess der Ergebnisse war die Stimmung im Restaurant zu Beginn der Coronakrise durchaus getrübt. Anfangs experimentierte das Madia mit größeren Abständen zwischen den Tischen, um möglichen Ansteckungen vorzubeugen, es musste dann aber wie alle anderen gastronomischen Einrichtungen schließen. Viele Projekte wie Fridays for future und Extinction Rebellion treffen sich normalerweise in den Räumlichkeiten, was nun bis auf weiteres nicht möglich sein wird. Ein Problem stellt die zukünftige finanzielle Absicherung dar, wie Jörg erklärt: „Das Madia ist nicht auf die vorhandenen Fördertöpfe zugeschnitten, da es gleichzeitig gemeinnützig und ein Gewerbe ist und normalerweise keinen Gewinn erwirtschaften will.“ So passe es in keine der Kategorien und es gebe derzeit keine Möglichkeit auf staatliche finanzielle Unterstützung. Nun hat die Gruppe der Verantwortlichen überlegt, die Nichtkommerzialität der Einrichtung vorübergehend einzuschränken und Spendenempfehlungen für Essen ab der kommenden Woche anzugeben. Es wird Essen zur Abholung geben und Lieferungen an Menschen, die aus gegebenem Anlass nicht selbst kommen können. Wie immer wird das Angebot bio und vegan sein. Jörg hat einen Wunsch: „Es wär schön, wenn viele Freiwillige kommen würden oder spenden, um uns so zu unterstützen!“ Neben Zeit und Geld würden auch noch leere Gläser und Lastenräder gebraucht.
Die Biofreunde sind ein Bioladen in Falkensee mit regionaler und saisonaler Obst- und Gemüseauswahl, der auch Naturkosmetik, Weine und Käse anbietet sowie über ein Bistro verfügt. Dem Laden ging es zu Beginn der Coronakrise wirtschaftlich ziemlich gut, da die Kund*innen auch hier größere Mengen einkauften. Aus Verantwortungsbewusstsein berieten die Geschäftsleiterin Claudia (und ehemalige Redakteurin bei Brandenburg im Wandel) und ihre Mitarbeiter*innen sich und entschieden, das angeschlossene Bistro noch vor dem offiziellen Bescheid zu schließen. „Seitdem ist es ruhiger geworden im Laden, die Leute sind sehr verhalten und es ist zu spüren, dass jeder auf die räumliche Distanz achtet“, berichtet Claudia. Sie würden nun erst einmal die weitere wirtschaftliche Entwicklung abwarten und den Betrieb etwas herunterfahren. Mitarbeiter*innen müssten ohnehin viel Energie aufbringen, um die neue Situation mit beispielsweise der Kinderbetreuung zu Hause zu bewältigen und hätten daher kaum weitere Kapazitäten. In letzter Zeit sind einige Studierende, die für die Coronazeit zu ihren Eltern nach Falkensee zurückgekehrt sind, auf die Biofreunde zugekommen und haben angeboten, den Laden mit einem Lieferservice zu unterstützen. Dies habe Claudia nicht aktiv beworben, es sei aber eine schöne Entwicklung. Einige Stammkund*innen würden bereits beliefert, aber aufgrund der Kapazitäten gibt es keine Pläne, solche Strukturen weiter auszubauen. „Bis auf weiteres tut es gut, ein wenig herunterzufahren und die Lage weiter zu beobachten“, sagt Claudia abschließend.
Die Krumme Gurke in Eberswalde ist ein gemütlicher kleiner Laden, der Produkte direkt aus der Umgebung überwiegend aus dem Barnim und der Uckermark verkauft. Von regionalem Obst und Gemüse bis Schweinesalamis gibt es eine Bandbreite an Produkten. Der krummen Gurke geht es in diesem Jahr ziemlich gut, da sich die neue Betreiberin Lonna, ihre Kund*innen und die Produzent*innen nun aufeinander abgestimmt haben und ein gutes Miteinander entstanden ist. Die größte Veränderung für den Laden sei, dass es keine Selbstbedienung mehr gebe und nur ein Teil des Ladens für Kund*innen betretbar sei; die Waren aus dem übrigen Ladenteil würden von Lonna herangereicht. Nicht nur der Laden, auch die Kund*innen haben sich ein wenig verändert: „Viele Kunden haben jetzt mehr Gesprächsbedarf als vorher, kaufen mehr ein und bleiben länger im Laden“, berichtet Lonna. Hamsterkäufe habe es nicht gegeben, aber die Leute bräuchten jetzt einfach mehr Lebensmittel, da sie nicht mehr unterwegs essen und die meisten ihre Kinder zu Hause hätten. Einige Veranstaltungen in nächster Zeit können leider nicht stattfinden und auch die Nachfrage nach dem Lastenradverleih ist momentan eher rückläufig. Lonna konzentriert sich nun darauf, die vorhandenen Strukturen zu erhalten und zu stärken. Wenn sich die Krise noch lange hinziehen sollte, möchte sie ihren Laden praktischer umbauen. „Ich mache erstmal weiter wie bisher, das ist glaube ich eine ganz gute Strategie.“
Die Umfrage unter der Akteur*innen in der Lebensmittelbranche zeigt, dass die Coronakrise sie durchaus betrifft, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Sie stellt eine Herausforderung für alle Akteur*innen dar, die sie vor veränderte Rahmenbedingungen und viele neue Vorschriften stellt, welche es zu überwinden gilt. Mit kreativen Lösungen und ein wenig Querdenken wird dies auf beeindruckende Weise bewältigt, um das Angebot für alle Kund*innen weiter aufrecht zu erhalten – für diese Flexibilität und den Erfindungsgeist kann die Gesellschaft dankbar sein und es sendet ein positives Signal für das gesellschaftliche Miteinander, dass viele Bürger*innen sich in dieser Situation einbringen und unsere Akteur*innen unterstützen.
Titelbild
Urheber: Solawi Waldgarten