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Porträt

BBIW#32 // Gemeinsam Gut Leben

Landwirtschaft Lebensmittel und Ernährung SoLaWi

von Andreas Gerlof - 21 Juni 2018

Der Abwanderung etwas entgegen setzen, dörfliche Strukturen erhalten und ein neues Gemeinschafts-Gefühl schaffen – um gemeinsam gut leben zu können. Das hat sich der gleichnamige Hof im Barnimer Ziethen auf die Fahnen geschrieben. Helfen soll dabei das Prinzip der solidarischen Landwirtschaft.

Werbellinsee und Parsteiner See, beide zurecht wegen ihres Erholungswertes geschätzt, liegen nahezu gleichweit entfernt vom Hof „Gemeinsam Gut Leben“ im nordbrandenburgischen Ziethen. Hier ist die fast völlig ebene Landschaft weitestgehend frei von Transitwegen, die die Metropole und die Ostseebäder miteinander verbinden, Wellness-Oasen getaufte Freizeit- und Erholungstempel sucht man vergebens. Wiesen, Wälder und Felder dominieren die Horizonte.

Dass sich Friedemann und Gabriele, er Ex-Berliner und sie gebürtig im österreichischen Tirol, vor einiger Zeit mit ihren Kindern Jöran und Anne hier niedergelassen haben, hat etwas damit zu tun, dass diese augenscheinliche ländliche Idylle trügt. Denn Abwanderung und Reduktion vieler Orte zu reinen „Schlafdörfern“ sind beim genaueren Hinschauen unübersehbar: „Wir wollten hier den Versuch starten, gemeinsam gut zu leben – in einer klassischen Dorfstruktur mit kleinbäuerlicher Wirtschaft“, erklärt Friedemann. Da war es nur logisch, sich dem Prinzip der Solidarischen Landwirtschaft zuzuwenden, als sich im Mai 2014 fast zufällig die Gelegenheit ergab, Land für einen bäuerlich-gärtnerischen Kleinbetrieb zu bekommen. Auf 6.000 Quadratmetern unter der brandenburgischen Sonne und noch einmal auf der gleichen Fläche unter einem Gewächshausdach produziert man nun Gemüse, Kräuter und Obst. Beeren, Kirsch-, Pflaumen- und Apfelbäume ergänzen den Hof ebenso wie die Tiere: Schafe, Schweine, Hühner und Gänse. Gabriele hat 2017 ihre Festanstellung im sozialen Bereich gekündigt und bringt sich seitdem zu 100% hier ein. Man ist angekommen in der hiesigen kleinen Welt, geht offen auf die Alteingesessenen zu und erhält von ihnen Offenheit und Hilfe zurück beim Versuch, den dörflichen Raum zu erhalten und mit Leben zu füllen. Mit Freunden bewirtschaftet man weitere 13 Hektar.

Bisher gehören zur hiesigen Gemeinschaft der „Solidarischen Landwirtschaft (SoLaWi)“ gut 40 Mitglieder, 120 sollen es einmal werden. Bis dahin wird der „Hofladen“ noch für die Finanzierung des Unternehmens mitsorgen müssen.
Ein Drittel der aktuellen SoLaWisten kommt aus den umliegenden Dörfern, ein weiteres wohnt in Eberswalde und rund um die drei Berliner Abholstellen in Hellersdorf, Friedrichshain und Charlottenburg leben die übrigen. Sie alle bekommen in festen Zeitabständen ihren jeweils saisonalen Ernteanteil, den sie mit entsprechenden festen Beiträgen finanziert haben. Aber das Solidaritätsprinzip funktioniert hier nicht nur von den Mitgliedern zum Betreiber, sondern auch zurück: Eine jetzt arbeitslose Unterstützerin vergangener Jahre bekommt so in diesem Jahr regelmäßig ihre kostenlose Soli-Kiste.

„Mit Solidarischer Landwirtschaft gelingt es, Preis und Wert landwirtschaftlicher Erzeugnisse zu entkoppeln, dem Preisdruck und Preisschwankungen des Marktes zu widerstehen. Ich habe mal den Satz gehört: `So kann man Lebensmitteln den Preis nehmen und ihnen wieder einen Wert geben.´ Und das tun wir mit Herzblut“, meint Friedemann. Zum „Wir“ gehören neben der Familie Lehrlinge und Praktikanten – letztere vor allem Waldorfschüler, die hier ihr für Klasse 9 obligatorisches ländliches Praktikum absolvieren. Aber „Wir“ sind natürlich auch Mitglieder und Freunde, die in Drucksituationen helfen, und weitere immer gern gesehene Gäste, die mit Zelt oder Wohnwagen für einige Tage hier aufschlagen und deren „Lohn“ selbstverständlich Naturalien sind.

Und sicher auch etwas von dem, was sowieso in keine Geldbörse passt und Friedemann und Gabriele hier ihr Leben als „gut“ beschreiben lässt: „Urlaub ist selten, am Ende jeden Tages bleibt noch viel Arbeit übrig. Wir machen ganz bewusst an manchen Tagen früher Feierabend, um genießen zu können, was wir in dem Kleinbetrieb geschaffen haben. Denn wir arbeiten ja schließlich auch irgendwo da, wo andere Urlaub machen – wie uns viele Freunde und Gäste bestätigen. Es bleibt ein Sieben-Tage-die-Woche-Job. Aber wenn Du ihn auch am siebenten Tag noch gern machst, ist eigentlich alles in Ordnung.“ Da, wo bis vor wenigen Jahren kein Hof war und wo nun einer ist, für ein einfaches, gutes Leben.

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