Für Frank Tettenborn und René Haney, beide Vorstand und Gründungsmitglied der BürgerEnergieGenossenschaft Inselwerke Usedom, ist Wandel eine „sanfte Form der Revolution“. Denn seit beide 2013 die Genossenschaft im Nordosten aus der Taufe hoben, die jetzt ihren Sitz in der Thinkfarm Eberswalde hat, haben sie zwei ganz entscheidende Erfahrungen gemacht: Man muss die Energiewende Schritt für Schritt gehen und man muss vor allem eines: Mit den potenziellen Akteuren, also eigentlich jeder Bewohnerin und jedem Bewohner der Region, sehr, sehr viel reden. Man könnte ergänzen: Und man darf sich von so mancher unerwarteten Wendung nicht abschrecken lassen. Ihr erstes größeres Projekt sollte ein Kraftwerk werden, dass Holzhackschnitzel verarbeitet. Kaum konzipiert sank der Ölpreis dramatisch und das Vorhaben rechnete sich nicht mehr...
Also redeten, überzeugten sie nicht nur die Kommunen, sondern vor allem deren Bewohner, viele davon mittlerweile Teil der Genossenschaft, davon, dass man die Energiewende nicht den großen Konzernen und der Politik überlassen kann. So entstand beispielsweise auf und nahe der Insel Usedom ein Ladenetz für Elektroautos sozusagen „von unten“. Sie stellten die erste „Zauntankstelle“ hin, noch bevor die Politik Regelungen zu diesem Thema erarbeitet hatte. In Zusammenarbeit mit Restaurants und Hotels entwickelten und entwickeln sie eine ökologische Ladeinfrastruktur, ein „Bürgerladenetz“ auf dem flachen Land, inklusive der dazu nötigen Karten, Abrechnung und Wartung. Die ersten zehn Ladestationen wurden im Sommer 2016 mit einem Dutzend Elektroautos bei einem Korso von Berlin nach Usedom eingeweiht, mittlerweile eine jährliche Tradition in aufsteigender Linie.
Manche Projekte sind profaner, zum Beispiel, wenn eine Gemeinde ihre Straßenbeleuchtung auf energiesparende Systeme umstellt und die Inselwerke das Ganze von der Motivations- über die Bau- bis zur Wartungsphase begleiten. Das verrückte dabei sei, dass oft zwar die Kommunen im knappen Haushalt kein Geld zur CO2-Ersparnis haben, man das aber bei vielen eigentlich nicht armen Bürgern bekommen könnte und die Genossenschaft dieses Geld eben einsammelt. „Da sieht man, dass Energiewende auch Spaß machen kann und nicht, wie häufig in der öffentlichen Diskussion behauptet, mit nachteiligen Kosten gedacht werden muss“, sind sich beide einig.
Spaß habe in diesem Sinne auch das Projekt für den „Hof Schwalbennest“ gemacht. Hier werden vor allem Kühe und Schafe gehalten, deren Milch hier weiterverarbeitet wird. Die Produkte stehen in einem eigenen Hofladen zum Verkauf, der auch Fleisch und Gemüse anbietet. Eine Photovoltaikanlage erschien sinnvoll, insbesondere zur Deckung des Stroms für die Kühlaggregate. Aber woher die dafür benötigten 20. 000 Euro nehmen? Nun, man nahm auf Anregung der Inselwerker die Kunden des Ladens mit ins Boot, akquirierte Kleinstdarlehen vonjeweils 300 Euro, die auf fünf Jahre gerechnet quartalsweise als Gutscheine eingelöst werden konnten und mit denen so die Anlage für den Sonnenstrom finanziert wurde. Mit einer anderen Käserei sind die Inselwerke zu einem ähnlichen Projekt im Gespräch.
Bei all dem bleibt das die Hauptbeschäftigung der Inselwerker: reden, reden, reden. Wohl gut 50% der Arbeitszeit verbringe man mit dem Gespräch zur Energiewende vor Ort, mit Bürgern, Politikern und Unternehmern. „Wir machen Energieberatung mit Umsetzungsvorschlägen“ bringen Sie ihre Arbeit auf einen kurzen Nenner. Wie im Fall des Hofes beschrieben streben sie dabei im Idealfall eine „Kombination aus verbessertem Klimaschutz und gesteigertem Gemeinschaftssinn“ an. Andere, vergleichbare Genossenschaften, mit denen man im Austausch steht, haben mehr Mitglieder und Geld – so brauchten sie eben mehr Köpfchen und reagieren vergleichsweise, ja, „zaghafter“. Und: Auch wenn sie mit dem Geld der Genossenschaft sehr sorgsam umgehen, Transparenz bei allen Investitionen herrscht, wissen sie mittlerweile, dass Rendite für die meisten Mitglieder nicht entscheidend ist.
Mehrwert sei für viele eben auch ein neues Gemeinschaftsgefühl, ein zukunftsfähiger Umbau der Stromnetze oder der persönliche Paradigmenwechsel: Strom dann und dort zu verbrauchen, wo er in sonnenreichen Stunden hergestellt wird. Was bedeuten kann, nicht mit dem letzten Sonnenstrahl sein Reiseziel zu erreichen, sondern ganz bewusst in der Sonnenscheinphase des Tages Stopps zum Sonne tanken einzulegen. Sozusagen behutsam schnell ans Ziel zu kommen: der CO2-Verringerung.
Da ist der Name von Deutschlands sonnenreichster Insel wohl immer noch gut fürs Programm, auch wenn man die Fühler weit ins Brandenburgische ausgestreckt hat. Denn genau dann, wenn man entlang der Ostseeküste am Ferienverkehr zu ersticken droht, bietet ja die Sonne gerade volle Breitseite. Schweißtreibende, aber vielleicht auch die überzeugendsten Gründe für ein Umdenken bei Verkehr und Energieverbrauch.