Nein, übermäßig bescheiden klingt das, was Wandel für Jenny vom Biesenthaler Projektehof Wukania bedeutet, nicht: „Wandel ist für mich der Weg von der ausgrenzenden, unterdrückenden, diskriminierenden und kapitalistischen zu einer offenen, herzlichen und lebensbejahenden Gesellschaft, in der alle gleiche Rechte haben, aufeinander achten und solidarisch mit sich und der gesamten Natur der Erde umgehen. Und das alles ohne Geld.“
Selbstbewusst und „geerdet“ erscheint dieser Anspruch dadurch, weil aus der ursprünglichen Idee des in Anlehnung an den benachbarten Wukensee 'Wukania' genannten Wohn- und Arbeitsprojektes ein kleiner Kosmos entstanden ist, der weit über alternatives Wohnen hinausgeht und sich erfolgreich den selbstgesteckten Zielen stellt.
Elf Menschen nahmen vor zehn Jahren mit Hilfe der Projektwerkstatt auf Gegenseitigkeit das drei Hektar große Gelände im Nordosten Brandenburgs samt Gebäuden und Naturstrand in Besitz. Um einen Ort zum gemeinsamen Leben und Arbeiten aufzubauen und in diesem Zuge das Gelände dem Privateigentum und der Spekulation zu entziehen.
Mittlerweile gibt es dort neben den drei Wohngruppen eine Naturkita, eine Holz- und eine Fahrradwerkstatt, eine Datschengruppe, Raum und Wohnräume für Geflüchtete, ein Seminargelände, ein Großküchenkollektiv, zwei Baukollektive und und und … Und eben eine ganze Menge dort erfolgreich gelebter Alternativen.
Wöchentlich treffen sich die Mitglieder der Wohngruppen, zwei Mal im Monat kommen alle Mitstreiter auf dem Gelände zum Plenum zusammen. Entscheidungen gelten bei Konsens oder werden an spontan ins Leben gerufene Arbeitsgruppen abgegeben. Es gibt verschiedene Solidarsysteme die meist nach dem Prinzip arbeiten: Jeder schätzt selbst ein, was er geben kann oder nehmen muss. Alle Gruppen arbeiten autonom und in eigener finanzieller Verantwortlichkeit, die Verantwortung für das Gesamtgelände wird jedoch gemeinsam getragen. Viele essen gemeinsam zu Mittag, man verbringt nicht nur auf den gemeinsamen Baustellen Zeit zusammen.
Und das strahlt auch nach außen: Mit und im Kulturbahnhof Biesenthal organisiert Wukania ökologische Filmwochen oder Verschenkemärkte. Eine Öko-AG in der örtlichen Schule wird von Wukania angeboten. Und: Von Mai bis September kommen hier Gäste im Rahmen der SISSI – SommerseminarInfraStrukturSuperInitiative – vorbei, um weitere Räume und Kapazitäten für Seminargruppen zu schaffen. „Dafür scheint es um Berlin herum für Gruppen zwischen 10 und 100 Leuten einen großen Bedarf zu geben“, erläutert Felipe die starke Nachfrage. Mit Kompost-Toilette, Solardusche und Pizzaofen ist dieses Angebot noch nur auf die warmen Monate beschränkt, soll aber bald ganzjährig angeboten werden können: um an den selbstgewählten Themen zu arbeiten und am Beispiel Wukania bereits einiges an Inspiration am Ort selbst zu finden!
Auch dabei gibt es keine Beitrags- oder Spendenempfehlung. Die Leute sollen geben, was sie können oder wollen. „Wir stellen eine Spendenbox auf, aber wir vergleichen die Beiträge der einzelnen Gruppen nicht. Lieber wäre uns, wir hätten genug Kleinspender mit regelmäßig fünf oder zehn Euro im Monat, so dass der Betrieb allein dadurch getragen würde“, kommentiert Felipe. „Die SISSI soll eine Welt jenseits der kapitalistischen oder einer Tauschlogik sein: in der sich stattdessen jeder nach seinen Fähigkeiten einbringt, nach seinen Möglichkeiten gibt und nach seinen Bedürfnissen nimmt.“ Die SISSI will auch zukünftig ohne Kredite auskommen, also in kleinen Schritten ohne ökonomische Verpflichtungen weitermachen. Man benötigt aber gerade für den so dringend erforderlichen „Drinnenbereich“, damit SISSI vielleicht mal KISSI wie „Auch für Kälte“-Infrastruktur heißt, eine Art Anschubfinanzierung und muss für den ersten Schritt dazu nun doch einen neuen Spendenaufruf starten. Dabei sollen im ersten Schritt eine ganzjährig nutzbare Küche, Toiletten- und Duschanlagen entstehen, aber auch eine Bibliothek mit einem mit Holz beheizbaren Ofen. Zukunftsvision: ein Seminarhaus mit ebenerdigen Zwei-Personen-Schlafräumen.
Aber auch ohne dieses ist Wukania heute schon ein Ort mit internationalem Flair – kamen doch Gäste aus Italien, Tschechien, Japan und Mexiko hierher, und fand man selbst den Austausch bei Aufenthalten in Spanien oder Venezuela. Und diese „Schmelztiegel“- Funktion nimmt auch in anderer Hinsicht immer vielfältigere Formen an. Ist doch aus der Bereitschaft, hier Geflüchtete aufzunehmen, mittlerweile ein ausgesprochen gegenseitiges Geben und Nehmen geworden. Die unterschiedlichen persönlichen Erfahrungen und kulturellen Einflüsse sowie die Unterstützung im Alltag und im Hofbetrieb bereichern Wukania.
Wichtig bei allen Aspekten, die nach außen doch nicht um Geld und Warenverkehr herumkommen (wie zum Beispiel dem Bio-Catering-Kollektiv, dass Schulen und Kitas zu festen Preisen mit Essen beliefert) ist den Wukaniern, dass man im Innenverhältnis, also untereinander, solidarisch miteinander verfährt. Wer sich darüber noch mehr belesen möchte: Unter dem Titel „Ich tausch nicht mehr, ich will mein Leben zurück – Theorie und Praxis nichtkommerzieller Projekt“ haben in einer größeren Broschüre vor zwei Jahren auch Leute aus Wukania tiefergehend reflektiert wie es funktionieren kann.
Und wer sich praktisch hier ausprobieren will: Mitmacher sind jederzeit gewünscht und kommen auch zahlreich, auch wenn die nächstgelegene Bushaltestelle nur einmal in der Stunde angefahren wird. (Bitte vorher per E-Mail oder persönlich anmelden.)
Wer sich für eine Wohngruppe interessiert, muss, sofern dort freie Kapazitäten bestehen, eine Kennenlernzeit und eine Probezeit bestehen. „Es ist schon eine große Entscheidung, sich auf Wukania einzulassen“, erläutert Jenny. Denn, siehe oben, Wandel wird hier eben ganz unbescheiden als ein grundsätzlicher verstanden.
Mehr Informationen unter: https://www.wukania.net