Die Initiative, ins Leben gerufen von Architekten, Kunsthistorikern, Architekturjournalisten und anderen am Erhalt der Architektur der Innenstadt Interessierten, hat die für einen Antrag auf Bürgerentscheid erforderlichen Unterschriften in erstaunlich kurzer Zeit erreicht. Dem Antrag müsste nun rein theoretisch stattgegeben werden. Die Stadt Potsdam erkennt die Fragestellung jedoch nicht als rechtskräftig an. Wie geht es denn jetzt weiter, wo sich doch immerhin schon über 14.000 PotsdamerInnen gegen den weiteren Verkauf kommunaler Grundstücke ausgesprochen haben?
Die Forderung der Aktiven ist einerseits, dass Gebäude, die einen historischen Wert haben und in diesem Sinne ein öffentliches Interesse bedienen, nicht einfach unter Einsatz von öffentlichen Geldern abgerissen werden können, ohne dass es darüber einen Konsens gibt. Dass die Öffentlichkeit bei solchen Entscheidungen nicht gefragt wird, ist altbekannt und mit den Organisationsstrukturen von Gemeinschaften gewachsen. Aber der Name sagt es schon: „Potsdamer Mitte neu denken“. Hierbei geht es in erster Linie natürlich darum, dass es einen Alternativvorschlag zur Gestaltung von Potsdams Innenstadt gibt, aber es geht eben auch um mehr Bürgerbeteiligung und darum diese gewachsenen Strukturen der Organisation von Gesellschaft neu zu denken. Zum anderen möchte die Initiative, die ihre Arbeit im Februar 2015 aufgenommen hat, ein Bewusstsein dafür schaffen, welche Flächen es in Potsdam überhaupt noch gibt, die das Potenzial haben, den Interessen der Öffentlichkeit gerecht zu werden und den Blick darauf lenken, dass das genau die Flächen sind, die von Privatisierung bedroht sind.
Bebauungsplanung nach den Qualitäten vor 1945
1990 wurde in der Stadtverordnetenversammlung der Beschluss gefasst, dass die Potsdamer Innenstadt „behutsam“ wieder dem historischen Stadtgrundriss angepasst werden soll. Die logische Konsequenz daraus sei, dass viele der das Stadtbild prägenden DDR-Bauten abgerissen würden. Dazu zählen unter anderem das Mercure Hotel, das alte FH-Gebäude und der dahinter liegende Staudenhof. Die Pläne der Stadt sahen zunächst Abriss und Neubau von Wohnungen vor. Letztgenanntes ist in einer wachsenden Stadt wie Potsdam ein sensibles Thema und kann dementsprechend als Totschlagargument benutzt werden. Wir brauchen Wohnungen, hier ist Platz, hier ist eh alles nur hässlich. Abriss. Neubau. Das rechtfertigt dann auch den Einsatz exorbitanter Mengen öffentlicher Gelder.
Die Bürgerinitiative hingegen argumentiert, dass die Geschichte der DDR ein Teil der Stadt ist und sich dementsprechend weiterhin im Stadtbild darstellen sollte. Den historischen Zustand wieder herzustellen und damit Glanz und Gloria wieder einziehen zu lassen, wie es bei dem Wiederaufbau des Stadtschlosses der Fall war, sei nicht im Sinne der Potsdamer Bürger und die Entscheidung, die 1990 getroffen wurde, bilde nicht mehr das aktuelle Meinungsbild und auch nicht die aktuelle Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Geschichte der Stadt ab. Die Initiative schlägt also vor, den zentralen Teil der Innenstadt um das FH- Gebäude zu einem Bildungs- und Kulturzentrum umzugestalten. Dafür wurde im Juni 2016 der Entwurf zum „Haus der Gegenwart“ veröffentlicht. Hier könnten Räume für Dialog und Beteiligung, Wissensvermittlung, Netzwerkaktivitäten, kreative Produktion und Präsentation entstehen. Und dieser Raum wird in Potsdam dringend benötigt, wie sich an der aktuellen Situation das"Rechenzentrum" zeigt. Das sanierungsbedürftige Gebäude in der Dortustraße ist seit September 2015 von der SPI Stiftung angemietet. Künstler, Musiker und andere Freischaffende haben hier verhältnismäßig günstig die Möglichkeit ihrem Handwerk nachzugehen. Das Gebäude ist von der Stadt, zur Umsetzung der „behutsamen Annäherung“ an das historische Stadtbild, zum Abriss geplant. Im September 2018 läuft die Nutzung durch die SPI erst einmal aus.
Wer gestaltet die Stadt für wen?
Eine der Leitfragen der Initiative ist: Wo finden sich Austausch und Begegnung, kreative Produktion und Präsentation in der Stadt wieder? Darauf gibt es Antworten: zum Beispiel im Rechenzentrum in der Dortustraße und der Scholle 34. Die Scholle 34 liegt im westlichen Teil der Stadt. Zu DDR-Zeiten noch ein Restaurant, wurde es wenig später zur Diskothek umfunktioniert und teilweise verbaut. Die Scholle ist ein Gemeinschaftsprojekt der Nachbarschafft. Das verwilderte und vermüllte Grundstück wurde beräumt, um hier Platz zu schaffen für Projekte, Arbeit, Austausch und Nachbarschaft. Das Gebäude wird fortwährend aus dem Dornröschenschlaf geküsst. Und auch hier gibt es die Idee wieder einen Teil in den Ursprungszustand zu bringen. Was bei dem Gemeinschaftsprojekt Scholle kiezgebunden funktioniert, soll nach Forderungen der Initiative Potsdam neu denken auch für das Potsdamer Zentrum funktionieren. Die Anwohner gestalten das Grundstück und die Räume nach ihren Bedürfnissen und ihren Vorstellungen eines zukünftigen Miteinanders.
Viele Potsadamer Künstler sind bisher im Rechenzentrum angekommen und wünschen sich natürlich bleiben zu können. Zum einen ist es zentral gelegen, zum anderen ist es eben ein Ort des Austauschs und der Vernetzung. Die Sanierung des baufälligen Gebäudes sei sehr kostenintensiv, der Abriss allein löse aber nicht die weiterhin bestehende Problematik, dass Möglichkeiten fehlen sich zentrumsnah zu treffen und auszutauschen und gemeinsam etwas zu schaffen. Was es also gibt sind Aktive, Vernetzungswillige, Kreative, Interessierte, Unterstützer und Ideen. Was es nicht gibt ist ein Platz an dem alle die Möglichkeit haben zusammen zu kommen und Gesellschaft zu gestalten.
Potsdam als Vorbild für Bürgerbeteiligung in der Stadtentwicklung?
Die Bürgerinitiative hat sichtbar gemacht, dass ein Großteil der Potsdamer sich gegen den Abriss zunächst einmal des FH-Gebäudes ausspricht. Die Stadt ist also angehalten umzudenken und mit den Bürgern in den Dialog zu kommen. Die Initiative liefert Ideen und bietet den Dialog als Vermittler zwischen Politik, der Öffentlichkeit und den Bedürfnissen der Potsdamer. Aktuell hätte der Antrag des Bürgerbegehrens einen Bürgerentscheid durchführen zu können mit der Abgabe der erforderlichen Menge Unterschriften angenommen werden müssen. Die Stadt lehnt den Antrag hingegen mit dem Argument ab, die inhaltliche Fragestellung des Bürgerbegehrens sei nicht rechtskräftig. Auch das liefert keine Antworten auf die Fragen, wie man in der Stadt mehr öffentlichen Raum schaffen kann und wie dementsprechend öffentliche Gelder in eine zukunftsfähige Entwicklung der Stadt gesteckt werden können. Man darf also gespannt sein, ob es eine Bereitschaft zum Dialog geben wird und Bürgerbeteiligung, auch modellhaft, in der Landeshauptstadt Brandenburgs möglich ist.
Titelbild: ©Peter Degener