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Porträt

BBIW#10 // Projekthaus Potsdam

Bildung BNE Gesellschaft Soziales Wohnen Wohnprojekte DIY Flüchtlinge

von Jule Breitschlag - 2 September 2016

Selbstbestimmt und ohne Mietdruck wohnen, vielleicht sogar arbeiten? Das wünschen sich viele Menschen. Die Nachfrage nach alternativen Wohn-, Arbeits- und Lebensformen wächst, auch in Potsdam. Die Bewohner*innen und Engagierten vom Projekthaus Potsdam wissen, wie es geht. Holger Zschoge auch. Er ist Gründungsmitglied und Projekthausexperte seit über zehn Jahren und hat uns erzählt, wie es dazu kam.

Das Projekthaus Potsdam ist ein vielseitig einsetzbares Konglomerat aus Menschen, Häusern und Werkzeugen, die gemeinsam an einem positiven gesellschaftlichen Wandel arbeiten. Außerdem wohnen etwa 30 Menschen hier, viele davon seit anbeginn. Seit über zehn Jahren haben sie mit viel Einsatz nicht nur einen Wohnraum für sich, sondern Platz für viele Menschen und Initaiven vor Ort, vom Flüchtlingsrat Brandenburg bis zur Textilwerkstatt, geschaffen. Wie das geht? Ein Besuch im Hause der Familie Zschoge, im Projekthaus Potsdam.

Schritt Eins: Wünsch' Dir was. Holger Zschoge, einer der Gründungsmitglieder, erzählt uns von der Idee, ein Haus zu kaufen, das kein Reihenhaus werden sollte. Er ist Lehrer und kommt aus der Uckermark. In den politisch extremen 90ern tritt er zusammen mit Anderen dem rechten Mob entgegen. Doch irgendwann merkt die Gruppe, dass ihnen „immer nur Reagieren“ auf lange Sicht keine Befriedigung verschafft. Damals wie heute sind die Potsdamer*innen auf der Suche nach Möglichkeiten „wo wir selbst mal im positive Sinne neue Modelle gesellschaftlicher Entwicklung ausprobieren können“, erzählt Holger. Am besten so Kommunen-unabhängig wie möglich. Konsequent geschlussfolgert heißt das für Holger Zschoge und Co: „Da bräuchten wir eigentlich ein Haus dafür.“ Die Hochphase der Besetzungen ist schon vorbei. Überhaupt fehlt es zu dieser Zeit in Potsdam an Langfristigkeit, an sicheren Orten für Projekte, die nicht beim nächsten politischen Wechsel davon geweht werden. Also wieso nicht selbst ein Haus kaufen?

Schritt Zwei: Sich warm anziehen: Nach einer „verrückten“ Suche und dem Hausfund, beginnt anschließend die „spannende“ Phase der Sanierung. Im ersten Winter wohen bereits zehn Menschen in den noch kaum als wohnlich zu bezeichnenden Räumen. Vorzustellen sind an dieser Stelle kleine Lagerfeuer und drei Schichten Rohwollpullover in kargen Räumen. Glücklicherweise endet jeder Winter und 2004 die ersten Sanierungen abgeschlossen. Zehn Jahre hat es auch der ökologische Neubau vom 3D-Computer-Modell aufs Grundstück geschafft. Das all dies gelingt, liegt unter anderem an der guten Vernetzungsarbeit. Mit Direktdarlehen und dem Beitritt zum Mietshäusersyndikat, welches Gruppen bei dem Versuch unterstützt, Häuser langfristig vom Immobilienmarkt zu nehmen, gelingt der Kauf, die Sanierung und die Einrichtung der ersten Werkstätten.

Schritt Drei: Sich verbünden, ohne ein Geheimbund zu werden: Heute stehen, getragen von Inwole e.V., sogar vier Häuser für das Projekthaus Potsdam, darunter eine Villa, ein schicker Neubau und ein Flachbau - das Werkhaus. Dazu kommt 200 m weiter, noch ein Gebäude, halb Wohn- halb Arbeitsfläche. Außerschulische Bildungsarbeit, Kreatives und Handwerkliches, Praktisches zur Schaffung solidarisch-ökonomischer Strukturen, ökologische Bildung und internationale antirassistische, sowie Integrationsprojekte finden sich hier.

Faustregel Nummer Eins: „Zum Wohnen gehört immer auch das Engagement.“ Holger weiß, dass das Projekthaus mit den Bewohner*innen steht und fällt. Die Beteiligung aller am Programm und der Instandhaltung des Hauses, ist Credo der Gruppe Das zeigt auch die Aufteilung der Flächen: Oben Wohnen, unten Werkstatt, zum Beispiel In den Werkstätten selbst gibt es Keramikkurse, interkulturelle Theaterworkshops, Kinderbastelräume, ein Fotolabor und zahlreiche weitere Angebote.

Entsprechend unterschiedlich sind die Menschen, die hier zusammenkommen, Bewohner*innen, aber auch einfach Nachbar*innen, „weil man hier spielen, basteln kann, Lagerfeuer, Stockbrot, Musik usw.“ Nicht jede*r empfindet sich oder sein Tun dabei als politisch. Für gesellschaftlich sinnvolle Projekte, so Faustregel Nummer Zwei, wird jedoch immer Platz geschaffen. So haben hier der Flüchtlingsrat Brandenburg und die Opferperspektive, die Beratungen für Opfer rechter Gewalt und Diskriminierungen anbietet, langfristige ihre Büroräume gefunden. Auch die selbstorganisierte Initiative Women in Exile e.V. ist hier aktiv: Frauen mit und ohne Fluchterfahrungen unterstützen sich gegenseitig, bieten Workshops an oder unternehmen, wie kürzlich, eine Sommerbusreise, um auf Diskriminierungen aufmerksam zu machen.

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